Unter namibischer Sonne – Leseprobe
Vanessa saß auf der Veranda und schaute in die Weite, wo die heiße Luft am Horizont über dem Buschgras flirrte. Sie lächelte. Noch kurz vor Weihnachten hätte sie sich nicht vorstellen können, nun hier zu sitzen, in Ruhe und Frieden, allein mit sich und der Welt und doch umgeben von so viel, das sie sich nie hätte träumen lassen.
Es war Februar, und sie war gerade aus Deutschland zurückgekehrt, wo sie ihr Büro und ihre Wohnung aufgelöst hatte. Viele Jahre ihres Lebens waren in Kartons verschwunden, anderes hatte sie auf eBay versteigert und etliches einfach nur weggeworfen.
Am schwersten war ihr der Abschied von ihren Eltern gefallen. Auch wenn sie sich sehr auf Kian gefreut hatte, die beiden hätte sie am liebsten mitgenommen. Ihre Mutter hatte geweint, und ihr Vater hatte versucht seine Gefühle zu verstecken, was ihm jedoch nicht gelungen war. Dass ihre Eltern angekündigt hatten, sie bald zu besuchen, war für sie alle ein wenn auch schwacher Trost gewesen.
»He!« Sie sprang schreiend auf. Ein kalter Guss hatte sie getroffen. Gleich darauf hörte sie ein Kichern. »Tuhafeni! Was machst du da?«
Tuhafeni kam hinter der Verandaecke hervor und konnte sich gar nicht einkriegen vor Lachen. Sie krümmte sich vor lauter Vergnügen. Ihr ganzes Gesicht strahlte, und ihre dunklen Augen blitzten.
»Duuu . . .« Vanessa drohte ihr mit einem Finger, aber sie konnte sich selbst das Lachen kaum verbeißen. Neben allem anderen war sie quasi über Nacht auch noch Mutter geworden. Und es gefiel ihr.
Sie lächelte erneut. Die warme Luft strich über ihr Gesicht, und sie erinnerte sich daran, dass das ihr erster Eindruck von Namibia gewesen war, als sie vor Monaten auf dem Windhoeker Flughafen landete. Damals hatte sie noch nicht ahnen können, dass diese Reise ihr Leben verändern würde. Dass sie Kian wiedertreffen würde, ihre große Liebe. Und nun das perfekte Glück: mit ihm hier zu leben.
Ein kalter Lappen drückte sich in ihre Kniekehle, und sie zuckte zusammen. »Hörst du wohl auf?« Sie wollte nach Tuhafeni greifen, die herangehuscht war und sich erneut köstlich über Vanessas Reaktion amüsierte, aber der kleine Wirbelwind war zu schnell. »Wir sollen Wasser sparen, nicht verschwenden. Es gibt viel zu wenig Regen dieses Jahr«, dozierte Vanessa mit ernstem Gesichtsausdruck. »Du hast doch gehört, was Kian gesagt hat.«
Das war für Tuhafeni kein Argument, das sah man ihr deutlich an. Sie freute sich einfach nur, dass Vanessa endlich aus Deutschland zurück war. Schnell schlang sie ihre Arme um Vanessas Hüften und schmiegte sich an sie.
»Du bist schlimmer als ein Sandsturm.« Nachsichtig lächelte Vanessa auf Tuhafeni hinunter und streichelte den kleinen Kopf mit den kurzen, krausen Haaren.
Ihr Blick schweifte in die Richtung, wo der Farmweg zur Straße führte. Sie zog die Augenbrauen zusammen. Da war eine Staubwolke. Als ob eine Herde Zebras herangaloppieren würde. Aber das schien eher unwahrscheinlich, denn die Herden hielten sich normalerweise dort auf, wo keine Straße war.
»Tuhafeni? Kannst du da was erkennen?« Vanessa hob Tuhafeni hoch. Sie hatte schon öfter festgestellt, dass Menschen, die hier aufgewachsen waren, die Bilder, die die Natur bot, besser interpretieren konnten. Wo ein Europäer das Kudu erst sah, wenn es fast schon vor ihm stand, witterten die Einheimischen – egal, ob weiß oder schwarz – die Tiere geradezu.
»Auto«, teilte Tuhafeni ihr gelangweilt mit und schaute in die andere Richtung.
»Auto?« Vanessa konnte vor lauter Staub immer noch nichts erkennen. »Keine Tiere?«
Tuhafeni lachte und zog Vanessa an den Haaren. »Nee.« Sie fand es immer lustig, wenn Vanessa Dinge nicht erkennen konnte, die für Tuhafeni offensichtlich waren.
Endlich schälte sich aus der Staubwolke etwas heraus, und Vanessa sah, dass Tuhafeni recht hatte. Es war nicht nur ein Auto, sondern es waren sogar mehrere. Allerdings nicht die üblichen Touristen-Allrad-Fahrzeuge der Autovermieter. Es waren Limousinen. Drei schwarze Mercedes-Luxusschlitten, die hier in der Wildnis merkwürdig deplatziert wirkten. In Windhoek hatte Vanessa diese Wagen mit den grünen Kennzeichen des öfteren gesehen. Grün bedeutete Regierung.
»Was wollen die denn hier?«, murmelte sie vor sich hin und setzte Tuhafeni ab.
Die staubbedeckten Wagen hielten direkt vor der Rezeption an. Vanessa schaute sich kurz um, sah aber niemanden in der Nähe, der die Insassen hätte begrüßen können, also ging sie selbst hinüber.
Aus dem ersten Wagen stieg ein breitschultriger Mann in einem schwarzen Anzug, der sich misstrauisch umschaute. Die Motoren der Wagen liefen weiter, um die auf höchste Stufe gedrehten Klimaanlagen im Inneren mit Energie zu versorgen.
Der düstere Eindruck, den der schwarze Mann in dem schwarzen Anzug vermittelte, verstärkte sich noch, als Vanessa ihn begrüßte. Er starrte von seiner beeindruckenden Höhe auf sie hinunter wie ein dunkler Riese, der die Welt in seiner Hand zerdrücken konnte.
»Herzlich willkommen«, sagte Vanessa auf Englisch. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um sein Gesicht nicht aus dem Blick zu verlieren.
Er schien sie gar nicht zu beachten, schaute sich dann noch einmal um und nickte dem zweiten Wagen zu. Dessen Fahrer stieg aus und öffnete die hintere Tür.
Kurz darauf zeigte sich ein schlankes dunkles Bein in einem extravaganten Schuh, dann gesellte sich das zweite dazu, und eine elegant gekleidete schwarze Frau stieg aus. Sie trug eines der afrikanischen Kostüme, die man öfter in der Stadt sah: eine Mischung aus afrikanischer Tradition, was Stoffe und Farben betraf, jedoch nach europäischem Schnitt. Zudem trug sie einen Turban, die kostspielige Variante eines Kopftuchs, genau aus demselben Stoff wie ihr Kostüm.
Auch sie schaute sich um wie der große Mann zuvor, aber bei ihr beinhaltete der Blick kein Misstrauen, sondern eine Art gnädige Herablassung.
Wie die Königin von Saba, dachte Vanessa. Sie blickte erneut zur Rezeption. Wo war denn bloß Isolde? Die wusste sicherlich, wie man sich in so einem Fall zu verhalten hatte. Für Vanessa war das alles neu.
»Tuhafeni«, flüsterte sie, während sie sich zu der Kleinen hinunterbeugte. »Such Isolde. Schnell! Und bring sie her!«
Tuhafeni schaute sie verständnislos an.
»Isolde«, wiederholte Vanessa drängend. »Wo ist sie?«
Nun schien Tuhafeni zu verstehen, drehte sich um und lief ins Haus hinein.
Vanessa atmete kurz innerlich auf, aber da sie nicht wusste, wie lange es dauern würde, bis Isolde kam, musste sie sich etwas einfallen lassen.
Sie lächelte und ging auf die majestätisch um sich blickende Frau zu. Es war vollkommen klar, dass sie das Sagen hatte. Die Männer waren nur Begleiter. »Ich begrüße Sie auf Dornbrunn. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Fahrt.«
Die Frau war nicht unbedingt größer als Vanessa, aber sie trug sehr hochhackige Schuhe, was den Eindruck erweckte. Doch nicht nur deshalb wirkte ihr Blick von oben herab. Sie schien die ganze Welt als speziell für sie gemacht zu betrachten.
»Wo ist mein Zimmer?« Kein Lächeln milderte diese knappe Frage.
Beinah wäre Vanessa einen Schritt zurückgetreten, so abweisend erschien das schwarze Gesicht. »Oh, ich –«
»Madam Minister!«
Isolde! Endlich! Vanessa fiel ein Stein vom Herzen. Sie wandte den Kopf und sah, wie Isolde schnellen Schrittes herankam, so dass sie fast selbst eine Staubwolke hinterließ.
»Herzlich willkommen auf Dornbrunn.« Isolde begrüßte die Ministerin lächelnd auf Englisch. Sie hätte auch Afrikaans sprechen können, aber sie blieb bei der Sprache, in der auch Vanessa mit der Ministerin gesprochen hatte. »Leider ist der Weg sehr sandig.« Das klang entschuldigend, als ob mitten im Busch etwas anderes zu erwarten wäre. »Ich hoffe, es war nicht zu schwierig mit Ihren Limousinen.«
Vanessa blickte sie erstaunt an, und dabei bemerkte sie die Anspannung in Isoldes Gesicht. Was war hier los?
Isolde machte eine einladende Geste zur Rezeption hin. »Alles ist vorbereitet. Die Rondavels für Sie und Ihre Begleiter stehen zur Verfügung.«
»Sagen Sie meinem Fahrer, wo mein Rondavel ist, damit er mich dort hinbringen kann.« Ohne Isolde oder Vanessa weiter zu beachten, glitt die Ministerin ebenso elegant, wie sie ausgestiegen war, in den Wagen zurück, und ihr Fahrer schloss schnell die Tür hinter ihr.
Vanessa hob die Augenbrauen. Höflichkeit war dieser Frau wohl nicht angeboren.
»Gleich dahinten«, wies Isolde den Fahrer an, nun auf Afrikaans. »Rechts an der Rezeption vorbei, das zweite Haus, das große.« Diese kleinen Sätze waren auch für Vanessa zu verstehen, sie klangen fast wie Deutsch.
Er ließ nicht erkennen, ob er verstanden hatte, nickte nicht, bedankte sich nicht, lächelte auch nicht, sondern stieg nur wieder ein und fuhr los.
»Hoffentlich hat er es richtig mitbekommen«, murmelte Isolde. »Ich gehe ihm besser nach.« Und schon lief sie los.
Vanessa sah, dass der dritte Wagen dem führenden Fahrzeug der Ministerin folgte und dass in diesem letzten Wagen Männer und Frauen in Uniform saßen. Wohl der militärische Begleitschutz der Ministerin.
Zurück blieb allein der erste Wagen mit dem düsteren Riesen und einem zweiten Mann, der im Auto sitzengeblieben war.
»Wollen Sie mit in die Rezeption kommen?«, fragte Vanessa. »Wegen der Anmeldung?«
Er blickte sie an, als hätte sie ihm einen unanständigen Antrag gemacht. Aber vielleicht verstand er auch einfach nur kein Englisch.
Vanessa hob die Hände. »Muss nicht sein. Sie können auch hier warten.«
Sie kam sich etwas merkwürdig vor, aber da sie das Gefühl hatte, nichts weiter tun zu können, nickte sie dem Mann nur zu und ging ins Haupthaus hinein.
Tuhafeni stand im Schatten des Eingangs. Sie war gar nicht mehr mit Isolde herausgekommen. Ihre dunklen Augen hingen an dem großen schwarzen Mann, als ob er der Teufel persönlich wäre.
»Du magst ihn nicht, hm?«, sagte Vanessa, als sie Tuhafeni erreicht hatte. »Ich auch nicht. Ein bisschen Höflichkeit tut doch nicht weh.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber diese Ministerin war ja auch nicht besser. Als ob sie alle mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wären.« Sie streckte Tuhafeni die Hand hin. »Komm, wir gucken mal, ob es in der Küche nicht ein Stückchen Kuchen gibt, das auf uns wartet.«
Sofort strahlte Tuhafenis Gesicht wieder. Kuchen war immer gut.
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